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Chronik 1880 - 2005

Chronik der KAB St. Bonifatius Essen-Huttrop

Will man als Chronist die Daten eines Vereines betrachten, ist es ratsam, die Vereinsgeschichte anhand der Ereignisse im Land oder gar der Welt zu durchleuchten.
Es sind 125 Jahre Sozialgeschichte, in die unser eigenes Entstehen und Wirken eingebettet ist.

In der Mitte des 19. Jahrhunderts häuften sich die Probleme und Entwicklungen der Wirtschaft und somit auch die sozialen Probleme. Die Besitzenden waren zu Macht und Reichtum gelangt, die Besitzlosen wurden ausgebeutet und schienen zur Ohnmacht verurteilt. Man zählte sie zum „vierten Stand", dem man neben dem Recht im öffentlichen Leben auch die gesellschaftliche Gleichberechtigung versagte. Die Massenverelendung war gekennzeichnet durch ein Leben an der Grenze des physischen Existenzminimums, durch weit verbreitete Kinderarbeit, durch übermäßig lange Arbeitszeiten (60 Std./Woche) und durch das Fehlen jeder sozialen Sicherung.

Durch die große Technisierung im Bergbau stiegen die Fördermengen immer weiter an, sodass die Unternehmen nicht mehr genügend Absatz fanden. Die Folge waren Stilllegungen und Entlassungen. Im August 1860 entschlossen sich daher 312 Bergleute, 49 Frauen und 102 Kinder aus Essen und Umgebung zur Auswanderung nach Südrussland. Unter diesen waren auch viele Bewohner aus Huttrop. Bereits im Oktober 1860 erfuhr man hier in Essen, dass die Auswanderer ein sehr böses Los erwischt hatten, wohnten sie doch in nur provisorisch errichteten Holzhütten, wenn sie überhaupt eine Unterkunft fanden. Auch die Ernährung ließ sehr zu wünschen übrig. Schon bald stellten sich Krankheiten ein und es starben 30 Kinder, 10 Männer und 12 Frauen an der Ruhr. Die Deutsche Regierung entschloss sich zur Rückholung der Ausgewanderten. Insgesamt kamen von 463 Ausgewanderten nur 263 im Oktober 1861 nach Deutschland zurück (Kurzbericht aus „Essen, Heimatkalender 1942").

Schon während der Revolution von 1848 war es im Ruhrgebiet vereinzelt zu Gründungen von gewerkschaftlich organisierten Arbeitervereinen gekommen, jedoch fehlte diesen die konfessionelle Basis. Als ältester katholischer Knappenverein gilt der 1855 in Altenessen gegründete Verein. Weitere Vereine wurden in Steele (1856), in Rellinghausen (1857) und in Borbeck (1861) gegründet. Im Jahre 1868 wurde der „Katholische Bürgerverein" in Essen-Werden gegründet. Diesen Namen gab man sich, um den Fallstricken der damaligen Vereinsgesetze zu begegnen. Im Dezember 1868 kam es zu einem Zusammenschluss der Katholischen Knappenvereine von Essen, Borbeck, Stoppenberg und Altenessen zu einem Knappenbund, der aber keine große Anziehungskraft auf die katholische Arbeiterschaft ausübte. Der im Februar 1870 in Essen gegründete „Christliche Arbeiter-Verein" entwickelte sich zum Zentrum der christlich - sozialen Bewegung im Ruhrgebiet.

Dieser Verein war der Obrigkeit jedoch ein Dorn im Auge und wurde vom Bürgermeister vorläufig geschlossen. Der Oberpräsident von Westfalen verweigerte konfessionellen Arbeitervereinen, die nach 1873 gegründet wurden, die Genehmigung.

Der eigentliche Beginn der Katholischen Arbeitervereinsbewegung im Ruhrgebiet fällt mit der Gründung des Vereins „Arbeiterwehr“ zusammen. Diesem Verein werden von der kirchlichen Obrigkeit enge Fesseln angelegt:
1. Nur katholische Arbeiter können Mitglieder werden.
2. Der Präses ist ein von der bischöflichen Behörde bestätigter Geistlicher.
3. Der Verein bezweckt die religiöse und soziale Hebung des Arbeiterstandes.
4. In die Statuten darf nicht aufgenommen werden, dass er sich mit Politik befasst.

Weiter wurde gefordert:
1. Schutz und Förderung der Religiosität und Sittlichkeit in festem Anschluss an die Kirche.
2. Förderung der Standestugenden: Fleiß, Treue, Nüchternheit, Sparsamkeit, Familiensinn, Hebung des Standesbewusstseins.
3. Pflege echter Kameradschaftlichkeit und veredelnder Unterhaltung.
4. Förderung der geistigen und gewerblichen Bildung.

Unter diesen Voraussetzungen riefen im Jahre 1880 einige katholische Einwohner von Huttrop die „Katholische Bürgergesellschaft Union zu Huttrop" ins Leben. Dies geschah in einer Zeit, als bereits die ersten Gewerkschaften gegründet waren. Welcher Mut dazu gehörte, in einer solchen Zeit eine arbeiterfreundliche Vereinigung zu gründen und nach außen zu vertreten, ist für uns, die wir heute in Wohlstand und Sicherheit leben, kaum nachvollziehbar.

In den ältesten, uns vorliegenden Statuten vom 9. Juli 1894 wird in § l als Zweck der Gesellschaft angegeben:
1. die Pflege des Gesanges,
2. gegenseitige Bildung,
3. gesellschaftliche Unterhaltung und
4. gegenseitige Unterstützung.

Mitglied konnte jeder unbescholtene katholische Bürger aus Huttrop und einigen angrenzenden Gemeinden werden, der mindestens 18 Jahre und höchstens 50 Jahre alt war. Gründungs- und Vereinslokal war die Gaststätte Josef Löbbert (der Wirt war gleichzeitig Kassierer), Steeler Str. 224, Ecke Herwarthstr. (bis 2002 Post, dann abgerissen und durch einen Neubau der Nationalbank ersetzt).

Kath. Bürgergesellschaft „Union“ Huttrop Juni 1888

Von der damals gegründeten Gesangsabteilung, die einmal wöchentlich probte, wurde im Juni 1888 ein Foto gemacht, das vom Verfasser dieser Chronik zufällig in alten Unterlagen gefunden wurde. Bekannt auf diesem Foto sind noch die Herren: Heinrich auf der Heide (rechts neben der Fahne) und Heinrich Löbbert (vorletzte Reihe, 2. von rechts).

Die Industrialisierung hatte einen starken Anstieg der Einwohnerzahl von Huttrop zur Folge. Lebten zur Zeit der Gründung hier 1.391 Menschen, die überwiegend Bauern waren, stieg diese Zahl in den nächsten 15 Jahren bereits auf 2 550. Zu dieser Zeit zählte die "Katholische Bürgergesellschaft Union" bereits rund 200 Mitglieder.

Im Juli 1901 werden für das alljährliche Stiftungsfest die Monate August und September genannt. Es ist also anzunehmen, dass einer dieser Monate der Gründungsmonat ist. Der Zweck des Vereins ist nun die Wahrung und Förderung der Religiosität und Sittlichkeit seiner Mitglieder, sowie deren Belehrung und Aufklärung über die christliche Sozialreform und die Bekämpfung der sozialistischen Irrtümer.

Dass der Verein im Jahre 1880 gegründet wurde, geht aus den Statuten des "Katholischen Arbeitervereins St. Bonifatius, Essen-Huttop" hervor. Diese Standesvereinigung stellte sich unter den Schutz des hl. Bonifatius und des hl. Engelbert. Am 17.12.1911 wurden von der Generalversammlung vorgenannte Statuten beschlossen, die am 1. Januar 1912 in Kraft traten und am 22. Januar 1912 vom "Erzbischöflichen Generalvikariat in Köln" genehmigt wurden. Der Verein unterstand also ab jetzt der Erzbischöflichen Behörde und ist dem Verband der Katholischen Arbeitervereine der Erzdiözese Köln, dem Bezirksverband Essen sowie der Katholischen Arbeitervereine Westdeutschlands angeschlossen. Zweck ist nun u. a. "Schutz und Förderung der wirtschaftlichen Interessen der Arbeiter". Vereinszeitung war die "Westdeutsche Arbeiterzeitung".

War der Verein früher durch alle Bevölkerungsschichten vertreten, hatte er sich nun zu einer reinen katholischen Arbeiterorganisation gewandelt. Dazu beigetragen hat der Strukturwandel von der reinen Bauerngemeinde Huttrop [(Hucht = Anhöhe, Trop = Dorf), Huttrop war jedoch ursprünglich ein einzelner, freier Hof] in einen von der aufblühenden Industrie aufstrebenden Ort mit hohem lohnabhängigem Arbeiteranteil.

Wo in dem bisher beschriebenen Zeitabschnitt die hl. Messen gefeiert wurden, deren Besuch für alle Mitglieder der Katholischen Bürgergesellschaft und des Katholischen Arbeitervereins Ehrensache war, ist nicht bekannt. Aus der Chronik des Franz-Sales-Hauses geht jedoch hervor, dass die in Huttrop ansässigen Bauern und Bürger für den Neubau dieser Anstalt sieben Morgen Land zur Verfügung stellten und weitere finanzielle Hilfen zusagten mit der Forderung, dass die Anstaltskirche so groß gebaut werden müsse, dass sie ihnen den Besuch des Gottesdienstes ermögliche, um sich den weiten Weg zur Münsterkirche zu ersparen. Am 29. April 1892 wurde die Kirche durch den Kölner Weihbischof Dr. Antonius Fischer konsekriert. Seit dem Jahre 1900 durften in der Franz-Sales-Haus-Kirche auch Trauungen, Taufen usw. stattfinden, bis dahin war das nur in der Münsterkirche möglich.

Im Sommer des Jahres 1905 konnte der Arbeiterverein auf ein 25-jähriges Bestehen zurückblicken. Im Saale der Gaststätte Schwanenbusch fand die Jubelfeier statt. Ein Foto aus dieser Zeit ist jedoch nicht vorhanden.

Das Vereinsleben wurde dann leider durch den 1. Weltkrieg unterbrochen. Viele Mitglieder standen an der Front oder in der Heimat ihren Mann. Die Folgen des Krieges waren die Niederlage unseres Vaterlandes mit anschließender Inflation, die uns immer tiefer in die Arbeitslosigkeit führte. So zählte der Katholische Arbeiter- und Knappenverein Essen-Huttrop, der sich nach dem 1. Weltkrieg neu gegründet hatte, noch 97 Mitglieder, belegt durch den "Jahresbericht des Diözesanverbandes der Kath. Arbeiter- u. Knappenvereine der Erzdiözese Köln 1928".

1930 konnte der Arbeiter- und Knappenverein Essen-Huttrop auf ein 50-jähriges Bestehen zurückblicken. Neben der kirchlichen Feier, die in der 1929 neu erbauten ersten Pfarrkirche St. Bonifatius stattfand, war abends im Saale der Gaststätte Schwanenbusch eine Jubelfeier, an der die ganze Pfarrgemeinde regen Anteil nahm.

1930: 50-jähriges Jubiläum

Bis auf zwei Personen sind alle namentlich bekannt.

Das so genannte "Dritte Reich" brachte für den Verein wiederum schicksalsschwere Jahre. Ein Vereinsleben war fast unmöglich, wurden doch viele Mitglieder, zum Teil aus Angst um ihre Stellung, untreu, jedoch brachte der 2. Weltkrieg das Vereinsleben nicht ganz zum Erliegen. Obwohl die Vereinstätigkeit vollständig verboten war, trafen sich viele Männer und Frauen in geheimen Zusammenkünften und konnten nach dem Zusammenbruch des "Dritten Reiches" mit dem Wiederaufbau unserer KAB beginnen. Wir können heute diesen Männern und Frauen nicht genug danken für Ihre Treue und Einsatzbereitschaft für Gott und den Verein.

Im Jahre 1955 konnte unsere KAB auf das 75-jährige Bestehen zurückblicken, das entsprechend seiner Bedeutung auch gefeiert wurde.

1955: 75- jähriges Jubiläum

Mit dem Neubau unserer Pfarrkirche wurde im Jahre 1961 begonnen. 1969 wurde ein neues Pfarrzentrum errichtet (1989 wurde das Zentrum erweitert), das Gelegenheit zu kulturellen und bildungspolitischen Veranstaltungen sowie auch die Möglichkeit zu ungezwungenem Beisammensein bot. Viele Veranstaltungen der KAB wurden seitdem hier durchgeführt. Besonders verwiesen sei an dieser Stelle auf die 85- und 90-jährigen Jubiläen unseres Vereins in den Jahren 1965 und 1970.

1970: 90 – jähriges Jubiläum

Wurden schon vorgenannte Jubiläen groß gefeiert, war der 100-jährige Geburtstag unserer KAB der absolute Höhepunkt aller Festivitäten.

Die Festwoche vom 21. September bis 27. September 1980 begann mit einem Pontifikalamt seiner Exzellenz Dr. Franz Hengsbach, 1. Bischof des 1958 gegründeten Bistums Essen, in unserer Pfarrkirche und endete mit einer Festveranstaltung im Saal der katholischen Pfarrgemeinde St. Gertrudis in der Essener Altstadt.

1990: 110 – jähriges Jubiläum

1990, im Jahre des 110-jährigen Bestehens unserer KAB, wurde ein neuer Vorstand gewählt, der dann die Geschicke unseres Vereins in die Hände nahm.

Als man durch Zufall das erste Foto unseres Vereins von 1888 fand (siehe vorne), entschloss man sich, eine Feier zum 110-jährigen Bestehen auszurichten. Am 21. Oktober 1990 feierten wir einen Festgottesdienst mit anschließendem Treffen im Pfarrzentrum. Weitere Aktionen waren: eine Weinprobe, ein Fest für die ARG, ein besinnlicher Abend mit Studentenpfarrer Dr. Patzek.

Abschluss des Festjahres war ein großer gemütlicher Abend (Herbstfest) mit großer Tombola. Bleibt noch, über das Jahr 2000, das "Millenium", zu berichten, feierte doch in diesem Jahr unsere KAB das 120-jährige Bestehen.

Nach dem Festgottesdienst, den unser Diözesanpräses Albert Kaußen mit vier weiteren Geistlichen mit uns feierte, traf man sich zu einem Festakt im Pfarrzentrum. Viele befreundete KAB - Gruppen des Bezirksverbandes Essen überbrachten Grüße ihrer Vereine. Den Festvortrag hielt ein ehemaliges KAB- Mitglied unserer Gemeinde. Die amtierende Ministerin für Frauen, Arbeit, Gesundheit und Soziales des Saarlandes, Frau Dr. Regina Görner, sprach zum Thema „Ist das christliche Menschenleben im sich wandelnden Ruhrgebiet und Europa überholt"?

In diesem Vortrag verglich Frau Dr. Görner die Situation vor 120 Jahren und heute, - ein viel beachteter Vortrag, der viel Applaus erhielt.

Die KAB St. Bonifatius hat zur Zeit rd. 300 Mitglieder.

Sicherlich war in den vergangenen Jahrzehnten nicht immer alles Freude und Sonnenschein, immer waren aber im richtigen Augenblick Menschen zur Stelle, die die ihnen gestellten Aufgaben mit Eifer und nach ihrem Vermögen erfüllt haben. Wünschen wir uns, dass sich auch in Zukunft immer Frauen und Männer finden, die die Belange unserer KAB weiter tragen, ihre Zusammengehörigkeit unter Beweis stellen und für die christlichen Ideale und Ziele unserer Standesbewegung Begeisterung erwecken.



Werner Schlüter


„Gott segne die christliche Arbeit“